"Jeder der sie sieht, auch wenn es zu spät ist,
um sie lebendig zu sehen, wird sagen,
das reicht für uns,
um zu verstehen,
was Natur ist und was Kunst."
Bernado Bellincioni (veröffentlicht 1493 in Florenz)
Bernado Bellincioni (1452-1492) - Poet am Mailänder Hof - besingt mit diesen Versen Cecilia Gallerani - oder vielmehr ihr außergewöhnliches Portrait. Cecilia war seinerzeit möglicherweise die Geliebte des Mailänder Fürsten Ludovico Sforza (1452-1508) . Letzterer hat Leonardo di ser Piero da Vinci wohl damit beauftragt, ein Portrait des jungen Mädchens anzufertigen, auf dass ihre Schönheit, Anmut und Tugend der Nachwelt erhalten bliebe.
Leonardo hat dieses Projekt mit der ihm eigenen Intention realisiert, die Vormachtstellung der Malerei gegenüber der Poesie oder der Bildhauerei zu demonstrieren. Denn das "Sehen" ist für Leonardo die vornehmste aller Tugenden - die Augen sind es, um die sich seine Welt dreht. Aber wie genau funktioniert diese Form der Wahrnehmung und was kann man damit alles anstellen? Was bedeutet es, "nach der Natur zu malen" und warum kann ein Maler gottgleich Dinge erschaffen, die sich niemand vorstellen kann? Leonardo schweigt nach eigener Aussage lieber zu diesen Fragen, um niemanden zu langweilen.
An anderer Stelle jedoch 'beantwortet' er selbst die gestellte Frage mit einem angemessenen Hochmut: "Öffnet die Augen, es genügt, gut zu sehen, um zu verstehen."
Aby Warburg hat sich ein paar hundert Jahre später diese Aussage zu Herzen genommen und fasst sie am Beispiel der Felsengrotten-Madonna in eigene Worte: "Um Leonardos Madonna in der Grotte zu verstehen, braucht man vom Hergebrachten nur dieses: das menschliche Herz und Auge auf dem rechten Fleck." Wir wissen nun, welche der beiden Versionen er damit gemeint hat.
Ähnliches lässt sich über die Dame mit dem Hermelin sagen. Um das Bild zu verstehen, bedarf es lediglich einer weiteren "Sichtweise". In diesem Fall steht besonders die Nase auf dem rechten Fleck.